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NIEDER MIT DEM MUSIKALISCHEN RASSISMUS [Fluxus 1964]
Sewteeth -die Performance einer Schleife
Genoveva Rückert

Das Band, das sich durchzieht -
wurde am 16. April 2005 im Medienkunstverein ESC unter Einsatz von vier Nähmaschinen während einer ca. vierstündigen Performance im Rahmen des Grazer Galerienrundgangs "aktuelle kunst in graz" erstellt. In dieser Schleife, einem blitzblauen Streifen einer Trittschall-Dämmung von ca. 80 m Länge, verbinden sich farbige Nähmuster mit eingenähten Inhalten, wie Zitaten, Audiokassetten-Band, Aufklebern oder Kleidungslabels. Diese Endlosschleife war auch konkrete Verbindung zwischen den Näh- und Konzertplätzen der vier PerformerInnen Cloed Baumgartner, Anita Hofer, Jogi & Reni Hofmüller (aka Institut Hofos) und wurde als Tonträger gleichzeitig selbst gebildet. Verschiedene Bedeutungsebenen überlagern sich wie die Farben der unterschiedlichen Nähgarne und Muster und weitere Assoziationsketten oder Schleifen "hängen" sich an.

"Schön wie die zufällige Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Operationstisch" (1). stellte sich die Atmosphäre in der ESC in der Jakoministraße im April 2005 dar. An den vier äußeren Ecken des Kunstvereins war jeweils eine Station mit Nähmaschine, Tonanlage und Mischpult aufgebaut. Die KünstlerInnen, unsichtbar für das Publikum über die PA miteinander verbunden, entwickelten ihre sichtbare Verbindung im Laufe der Performance, indem sie die endlose Schleife quer durch die Ausstellungs- und Büroräume des Medienkunstvereins einander im Rhythmus ihrer Näharbeit weiterschoben. Während sie nähten, mischten und überarbeiteten sie gleichzeitig den von den Nähmaschinen unterschiedlichen Typs abgenommenen Sound. Knatternd und surrend zog sich das Konzert der Maschinen durch die Räumlichkeiten der ESC - ein konzentrierter Vierklang und Hörerlebnis feiner gegenseitiger Abstimmung.
Ebenso heterogen wie die einzelnen Stimmen im Konzert ist auch der Hintergrund der in einem erweiterten Kunstverständnis tätigen KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen, der von Mode bei Cloed Baumgartner (Modellabel MILCH (2)) über Medienkunst bei Anita Hofer (Kulturplattform KiG (3)) oder vom Hintergrund experimentelle Musik und Neue Medien bei Reni & Jogi Hofmüller ( deren vielfältige Aktivitäten in den Räumlichkeiten der Jakoministr. 16 - ESC (4) & dem Grazer Kulturserver mur.at (5) beheimatet sind) reicht.

Während die räumliche Anordnung als Installation und Ausstellung weiter zugänglich blieb, wurde in einem weiteren Schritt das Schleifenmaterial in 26 cm lange Streifen geschnitten, aus denen sich 144 CD Covers nähen ließen. Der Mitschnitt des performantiven Konzerts (ein Summenschnitt in Stereo) wurde von Reni Hofmüller bearbeitet, neu zusammengestellt und wurde in gekürzter Fassung von 57´22´´ auf CD veröffentlicht. Die Präsentation der CD-Produktion fand am 8. Mai 2006 im Rahmen der Reihe "Sonntagsabstrakt" in der Postgarage in Graz statt. Umfangreich ist auch der Auftritt im Internet: Unter http://sewteeth.mur.at/ erschließen sich mosaikartig die unterschiedlichen Covers, Details zu Sewteeth, wie Informationen zu den PerformerInnen und deren Maschinen (6), sowie die Weiterführung des Projektes, u. a. im Rahmen der Wiener Festwochen 2006.

Mit Tonabnehmern bestückte Nähmaschinen wurden zu elektronischen Musikinstrumenten, analoge Stichmuster zum Ausgang für neue Klangstrukturen, mechanische Geräusche mischen sich mit Elektro-Sounds. In bester aktionistischer Tradition wurden Performance-Relikte zu Kunstwerken transformiert. Entstanden ist damit ein durch und durch analoges Resultat - eine Serie von in "klassischer" Handarbeit erstellter Unikate - wäre da nicht der digital bearbeitete Inhalt. Spielerisch verbinden sich analoge und digitale Medien. Wie im Titel des Performance-Konzerts Sewteeth verschmilzt die mechanische Technik des Nähens ("sew") mit dem englischen Wort für Sägezahn ("sawtooth") - ein "digitaler" Verweis auf ein gängiges Mac-Audiobearbeitungs-Programm. Da sich Schwingungen in der Natur als Wellen mit gleicher mathematischer Kurvenform ausbreiten, bezeichnet man die Form einer Schwingung auch als Wellenform, die eben auch die Form eines Sägezahnes annehmen kann. In der durch Synthesizer geprägten elektronischen Musik haben wir es mit Schwingungen zu tun, die erst nach dem Wiedergabeverstärker (Stereoanlage, PA, etc. ) durch die Schwingung der Lautsprechermembrane in eine Schallwelle umgesetzt wird. Diese Welle erreicht unser Ohr und erzeugt dort wieder eine Luftmolekül-Schwingung, die unsere im Ohr befindlichen Tasthärchen abtasten und an das Gehirn weiterleiten.

Der musikalische Charakter der Audioproduktion von Sewteeth ist sehr reduziert. Während beim dynamischen Beginn die Maschinen deutlicher zu erkennen sind, folgen kontemplative Strecken, in denen der Klangerzeuger zugunsten rhythmischer Passagen zurücktritt. Stellen mit windartigen pfeifenden Tönen und knatternden Geräuschen, die zum Teil nur noch als Knacken der Boxen wahrnehmbar sind, leiten über zu Sequenzen mit hämmernden und rotierenden Sounds, die sich in minimalen Variationen wiederholen.

Wie Schallwellen konstitutiv für das Hören sind, sind Schleifen oder "Loops" wesentliche Elemente in der Musik. Insbesondere in der Neuen Musik, und spezifischer in der Minimal Music, wird die Schleife zu einem charakteristischen Motiv. Töne und auch vorgefundene Klänge werden beispielsweise in Steve Reichs oder Phillip Glass Kompositionen schleifenartig in minimalsten Veränderungen aneinander gereiht. Von den (Möbius-)Schleifen und der Variationen des Immer-Gleichen in der Minimalmusik lässt sich logisch die Verbindung zu Fluxus ziehen. Das Bindeglied (und die jeweils prägende Figur) zwischen Minimal und Electronic Music und der spartenübergreifenden Fluxus-Bewegung (7) ist der amerikanische Komponist John Cage (8) (geb. 1912).
Durch ihn hat die Aktionskunst ihre Wurzeln nicht in der Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst, sondern in der Experimentalmusik. Nicht nur aufgrund der Einbeziehung von Zufallselementen und Klangeffekten aus dem Alltag ist Cage die Schlüsselfigur dieser auch als Neodada bezeichneten Richtung. Er propagierte die Partizipation des Publikums an Kunstaktivitäten und trieb die Auflösung der künstlerischen Medienabgrenzungen voran.
Charakteristisch für diese Kunstrichtung ist die gleichwertige, performative und va. spielerische Verbindung unterschiedlicher Gattungen mit dem Banalen und Alltäglichen. Elemente aus Musik, Theater, Film, Kunst, Literatur werden nicht nur gleich berechtigt genutzt, sondern zu einer neuen, übergreifenden Kunstform entwickelt, die selbstverständlich auch moderne Medien (z. B. Video, Fernsehen) einbezog. Für die zahlreichen Fluxus-Feste formulierte der Künstler George Maciunas ein theoretisches Programm: »Fluxus-Amusement soll einfach, unterhaltend und anspruchslos sein, sich mit Belanglosigkeiten beschäftigen, weder besondere Fähigkeiten noch zahllose Proben erfordern, weder handelbar noch institutionalisierbar sein... es strebt einfache Strukturen und untheatralische Qualitäten in einfachen, natürlichen Vorgängen als Spiel an.« (9)

In dieses zunächst ironisch anmutende Dogma fügt sich auch das performativ entstandene, zusammenhängende "Musik-Stück" Sewteeth, wenn sich das Team ohne die Quelle näher anzugeben mit dem Slogan "Nieder mit dem musikalischen Rassismus (Fluxus 1964)" in der geistige Nähe eben dieser Bewegung positioniert. So kann auch die Zielsetzung programmatisch abgeglichen werden:
Ziel der Fluxus Bewegung war, ein Zusammenspiel zu erreichen, das die Grenzen zwischen den Künsten sowie zwischen den Künstlern und dem Publikum aufhebt. Die Künstler stellten sich nicht in Werken, sondern nur in Aufführungen, Protesten und Ideen dar. Die Werke sind das was als Aktionsrelikte übrig bleibt. Die Bewegung wollte sozial wirken und ihr Ziel war es, die schönen Künste auszulöschen. Das Kunstobjekt als funktionsloser Gegenstand, welcher nur verkauft werden soll, wurde strikt abgelehnt. Die oftmals anarchistischen Aktionen mündeten in dem utopischen Traum, die Kunst zu entkommerzialisieren und sie vor allem auch zu entprofessionalisieren. Die "life performance" sollte im Mittelpunkt stehen, der Zufall sollte regieren, ein Drehbuch für die Aktionen gab es nicht und es regierte das Experiment. Das Banale, das gewöhnlich Verbrauchte, wird ebenso relevant wie die vielfältigen Prozesse des Alltags. In der Aktion findet die unmittelbare Präsentation eines künstlerischen Denkprozesses mit Hilfe theatralischer Mittel statt, um durch die überraschende Pointe des improvisierten Geschehens das Leben selbst, die Aktualität einer Problematik mit größtmöglicher Eindringlichkeit zu demonstrieren. Diese Aktionskunst liefert eine wichtige Bedingungen für die Annäherung zwischen Kunst und Lebenswirklichkeit. Leben =Kunst. (10)

In diesem Zusammenhang wird auch das Selbstverständnis der PerformerInnen von Sewteeth deutlich. Im Gegensatz zur High Culture ging es ihnen, fasziniert von dem Klangpotential der Low-Tec-Geräte, darum Hörgewohnheiten aufzubrechen - die Musik des Alltags "sichtbar" zu machen. In diesem Sinn ist auch der eingenähte Text "Warum etwas zeigen , was man sehen kann ? Why show something that can be seen ?" zu verstehen. Das Zitat der US-amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein (11) kann aber auch auf das Sichtbarmachen von künstlerischen Arbeitsbedingungen umgelegt werden. In Analogie an das Fließband wird die Endlosschleife zur Metapher für die schlechten Bedingungen, aber auch die geringe Wertschätzung und Wahrnehmung von Kulturarbeit. Charakterisiert sich doch die Tätigkeit im nicht kommerziellen Kulturbetrieb als schier endloses Eingespannt-Sein zu schlechten finanziellen Bedingungen und keiner bis minimaler Absicherung. In Zeiten des schleichenden Sozial-Abbaus wurden interestanterweise KünstlerInnen als Ein-Mann/Frau-Betrieb zum role model (12) für Tätigkeiten im sogenannten Dritten Sektor (13). Immer stärker werden neue Selbstständige (die Ich-Ags) in prekäre Arbeitsverhältnisse gezwungen, während die gewerkschaftlichen Errungenschaften nach dem Zweiten Weltkrieg, wie die umfassende Pensions- und Krankenversicherung, leise schwinden.

Das Band, das sich durchzieht -
ist ebenso eine Weiterführung der 2003 in der ESC realisierten Ausstellung "Schleife Loop. Diese Regierung verdient einen Kommentar. Von in Österreich lebenden KünstlerInnen." (14) Wie zuletzt die kulturpolitischen Bedingungen ging es in Sewteeth auch darum das kulturelle Umfeld mit zu reflektieren: Unter Bezugnahme auf den Titel des alljährlichen Rundgangs durch die Grazer Institutionen15 bringen die Aufkleber "keine aktuelle kunst in graz" zum Ausdruck, dass die KünstlerInnen neben dem etablierten Geschehen und va. nach dem Kulturhauptstadt-Jahr 2003 in Graz kaum Platz für das Experimentelle, Zeitgenössische sehen.

(Fazit:)
4 PerformerInnen an 4 Näh- und Konzertplätzen produzierten in ca. 4 Stunden 4 Nähspuren auf 1 1/2 Runden einer Endlos-Schleife. Ein bestechend einfaches Konzept für eine experimentelle Anordnung, die komplexe Inhalte erschließt. Die Nähmaschine als eine der frühen Maschinen der Industrialisierung und damit der Entwicklung der Arbeiterklasse steht zunächst für die damit verbundenen soziale Wandlung der Gesellschaft. Erst später, in die Haushalte eingezogen, wurde sie zu "der" Möglichkeit weiblicher Erwerbstätigkeit, die sich weiter zu einem Werkzeug privater Nutzung und Symbol für "Handarbeiten" wandelte. Wie mit einem Stethoskop wurde die Befindlichkeit der Maschinen verschiedener Zeiten abgetastet, ihr Klangpotential ausgelotet. Dabei wurde ihre Aussage-Potential für unsere heutige Zeit performativ untersucht und weiter transformiert, um letztendlich künstlerische Arbeits- und Produktionsbedingungen sichtbar zu machen.



Genoveva Rückert, Geboren 1974, Studien: Kunstgeschichte und Kulturmanagement, Bildnerische Erziehung und Technisches Werken in Graz, Linz und Karlsruhe. Seit 2003 Kuratorin am O.K Centrum für Gegenwartskunst, Linz, seit 2005 Lehrbeauftragte an der Kunstuniversität Linz. Ausstellungen und Publikationen u. a.: Re:Location / Shake - Staatsaffäre (Linz/Nizza), Die Ordnung der Natur, Biennale Cuvée, Mirador 06 - spanische Medienkunst; Einzelausstellungen, u. a.: Victor Alimpiev, Corinna Schnitt, Esra Ersen, Roman Signer.


(1) Vgl., Die poetische Wendung des Comte de Lautréamont, der als literarisches Vorbild für die Künstlertheorie des Surrealismus geprägt hat.
(2) http://milch.mur.at/
(3) http://kig.mur.at/
(4) http://esc.mur.at/
(5) http://mur.at/
(6) Vgl. http://sewteeth.mur.at/cd.html / Stand August 2006: PerformerIn, Nähmaschine und Fadenfarbe: Cloed Baumgartner Bernina Minimatic Schwarz, Anita Hofer Pfaff Creative Weiss, Jogi Hofmüller Singer Klasse 215 Gelb, Reni Hofmüller Husquarna Zigzag Rot
(7) http://www.kunstwissen.de/fach/f-kuns/o_mod/fluxus / Stand August
2006:?1960 geben die Cage-Schüler LA MONTE YOUNG (geb. 1935) und JACKSON MAC LOW (geb. 1922) eine Anthologie der von ihrem Lehrer initiierten neuen Kompositionsweise heraus, die von GEORGE MACIUNAS (geb. 1931) gestaltet wird. Alles Material, das nicht in dieser Sammlung berücksichtigt ist, will Maciunas als sogenannte >Fluxus< fortan sukzessiv publizieren, weshalb diese aus der Musik abgeleitete Aktionskunst die Bezeichnung >Fluxus< erhält. 1962 bringt Maciunas das gesamte Material der Anthologie mit zum Wiesbadener Festum Fluxorum, wodurch die Fluxus-Bewegung in Zusammenarbeit mit den amerikanischen Cage-Schülern Jackson MacLow, GEORGE BRECHT (geb. 1926), DICK HIGGINS (geb. 1938) und AL HANSEN in Europa etabliert wird. Da Maciunas eine aus der Experimentalmusik abgeleitete Aktionskunst nach Europa vermittelt, konzentrieren sich die von ihm getragenen Fluxus-Veranstaltungen im wesentlichen auf die Integration des Alltagslebens in das Repertoire musikalischer Klangereignisse. Dabei wird in Zertrümmerungsaktionen von Klavieren und Geigen nach dem dadaistischen Antikunst-Vorbild einerseits mit dem traditionellen Klangrepertoire der Musik gebrochen, zum anderen entnimmt man solchen Klangereignissen gleichzeitig auch ein noch unverbrauchtes konkretes akustisches Material, das bislang nicht als Klang, sondern als Lärm galt, weil es außerhalb konventioneller Tonsysteme liegt."
(8) Vgl. RoseLee Goldberg, Performance Art. From Futurism to the Present, World of Art 1993, S 123ff
(9) Ebda
(10) Ebda
(11) aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie www.wikipedia.org / Stand August 2006: Gertrude Stein (* 3. Februar 1874 in Allegheny, Pennsylvania, USA; ? 27. Juli 1946 in Paris) gehörte mit ihrer extrovertierten Art zu den Kultfiguren der Kunstszene ihrer Zeit. Durch einen von ständigen Wortwiederholungen geprägten Stil wollte sie nach eigenem Bekunden den Kubismus der abstrakten Malerei in die Literatur übersetzen. Mit ihren Schriften zählt sie zu den radikalsten Avantgardistinnen des 20. Jahrhunderts.
(12) Vgl. zur Rolle von KünstlerInnen und ?cultural workers? Andrea Ellmeiers Studien und Vortrag im Rahmen des Symposiums flexible@art am 12. Mai 2006 an der Kunstuniversität Linz. www.khs-linz.ac.at/portal/DE/forschung/projekte/flexibleatart/aktuell/index.html /Stand August 2006
(13) Das ÖKS hat dazu in den letzten Jahren gearbeitet und 2004 im Rahmen des Projektes ?Artworks? eine Studie ?zu künstlerischen Dienstleistungen im Dritten Sektor? herausgegeben. Vgl.: http://www.oks.at/KulturKontakt.aspx und http://www.bmbwk.gv.at/europa/esf/equal/equal.xml#H1
(14) http://esc.mur.at/03_aprilcapt.htm
(15) http://www.aktuellekunst-graz.at/